Der Masterplan für eine bessere Zukunft? Die 3 Gesichter des »Green New Deal«
Er soll nicht nur den Klimakollaps abwenden, sondern gleichzeitig eine gerechtere Gesellschaft schaffen: der »Green New Deal«. So steht es um das vielleicht wichtigste politische Projekt unserer Zeit.
Ja, warum eigentlich nicht?
Dieser simple und doch weitreichende Gedanke ist die Kernidee des »Green New Deal«, dem derzeit vielleicht wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Plan dies- und jenseits des Atlantiks. Er soll den Klima- und Umweltkollaps verhindern und gleichzeitig ein besseres Leben für alle Menschen garantieren.
Auf den zweiten Blick wird jedoch klar: Es gibt nicht den einen »Green New Deal«, sondern je nach Region verschieden ausgeprägte Varianten, die unterschiedlich weit gediehen sind. Die 3 größten und wichtigsten Strömungen sind:
- Der noch junge, etwas technokratische, aber politisch bereits beschlossene »Green Deal« der Europäischen Union.
- Der amerikanische »Green New Deal«, der tiefe historische Wurzeln hat, derzeit aber vor allem der Traum einer jungen Generation von einer gerechteren Zukunft ist.
- Der britische »Green New Deal«, der den nötigen Wandel vor allem durch eine Reform der Finanzwelt erreichen möchte.
Der gemeinsame Nenner: Den Kollaps von Klima und Natur verhindern, die Wirtschaft stärken
Um das verbindende Element der verschiedenen »Green New Deals« zu erfassen, genügt es, ein paar Bücher zum Thema vor sich auf den Tisch zu legen und einen Blick auf die Umschläge zu werfen. Und im Namen steckt es natürlich auch: Es ist die Farbe Grün. Also: Klimaschutz, Arterhalt, Friedensschluss mit der Natur.
Die wichtigste Schattierung ist die Dekarbonisierung, die
- alle
- ein elektrisches und autonomes Transportnetz erschaffen, das allen
- intelligente und energieeffiziente Gebäude und Unternehmen in einem
- eine
- unseren Umgang mit Energie
Der Klimawandel ist vielleicht der drängendste, aber sicher nicht der einzige Punkt auf unserer Liste der Umweltprobleme. Die weiteren Facetten des Ergrünens, die der »Green New Deal« bringen soll, umfassen den Erhalt der Arten, einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen in einer Kreislaufwirtschaft, ein Ende der Verschmutzung der Natur durch Plastik und andere Chemikalien, das Verhindern der Übersäuerung der Meere und der Versiegelung der Böden –
Wenn unser Verhalten im Moment ein Rundumschlag gegen die Natur ist, ist der »Green New Deal« also das Korsett, das uns hilft, uns endlich im Zaum zu halten (bevor der vernichtende Gegenschlag kommt).
Der »Green New Deal« ist die Chance, nicht nur einen kaputten Planeten, sondern eine kaputte Gesellschaft zu reparieren. – Bill McKibben, Klimaaktivist und Autor
Die Ziele wären schnell erreicht, wenn wir einfach alles stehen und liegen ließen, uns zurückzögen und der Natur komplett den Raum zur Erholung böten. Dass das keine Option ist, ist klar; schneller noch, als die Natur sich erholen könnte,
Jetzt, da das Grundgerüst steht, wenden wir uns dem »Green Deal« der EU zu – der politisch am weitesten fortgeschrittene Ableger.
Der »Green Deal« der Europäischen Union: Volle Kraft voraus für die Energiewende
Anfang Dezember 2019 tritt Ursula von der Leyen vor die Presse und stellt der Öffentlichkeit ihren »Green Deal« für Europa vor.
Zur Erinnerung: Erst Monate zuvor war von der Leyen unter schweren politischen Wehen
Und in diese Situation hinein beschließt sie – eine konservative Politikerin –, den Klima- und Artenschutz mit dem »Green Deal« ganz oben auf die Agenda zu setzen; zum prägenden Projekt ihrer Präsidentschaft zu machen:
Der europäische ›Green Deal‹ ist unsere neue Wachstumsstrategie – für ein Wachstum, das mehr zurückgibt, als es nimmt. Er zeigt uns, wie wir unsere Art zu leben, zu arbeiten, zu produzieren und zu konsumieren so verändern können, sodass unser Leben besser und unsere Wirtschaft innovativer werden. Wir alle können Teil dieser Transformation sein, wir alle können von den Chancen profitieren, die sie bietet. […]
Wir sind fest entschlossen, damit Erfolg zu haben – für diesen Planeten und das Leben auf ihm; für das Naturerbe Europas, für die Artenvielfalt, für unsere Wälder und Meere. Indem wir dem Rest der Welt zeigen, wie man zugleich nachhaltig und wettbewerbsfähig ist, können wir andere Länder überzeugen, mitzuziehen.
Beachtliche Worte, auch deshalb, weil die grüne Transformation bekanntlich nicht das Steckenpferd der Union ist. Ursula von der Leyen nimmt es in Kauf, viel Zeit und Kraft darauf verwenden zu müssen, skeptische Teile ihrer Fraktion mitzunehmen auf diesen progressiven Pfad. Doch die Überzeugung scheint zu überwiegen, dass eine positive, gemeinsame Zukunftsvision, auf die sich gerade auch junge Europäer einigen können, sehr viel besser dafür geeignet ist, Europa gegen die Fliehkräfte zu verteidigen und zu vereinen.
Von der Leyens Ansprache lässt aber auch den Charakter und die Schwerpunkte ihres »Green Deal« erkennen: Sie plant ein wirtschaftliches und technisches Ergrünen, von dem durchaus alle etwas haben sollen. Doch eine soziale Revolution, eine Abkehr vom Wachstumsmantra ist er nicht.
Doch wie viel Substanz steckt nun in Ursulas Mondfahrt? Genug, um das Leben auf der Erde zu retten?
Natürlich finden sich sowohl Kritiker, denen der »Green Deal« viel zu weit geht, als auch andere, denen er nicht weit genug geht. Doch bisher ist nur der Grundstein gelegt. Wie wirksam das Projekt ist, wird davon abhängen, wie konsequent die EU und die Mitgliedstaaten die
Das zeigt einmal mehr: Der europäische »Green Deal« ist schon sehr konkret – doch es gelingt ihm (noch) nicht, eine neue, mitreißende Gesellschaftsvision zu zeichnen.
Der US-amerikanische »Green New Deal«: Ausgleichende Gerechtigkeit
Am 13. November 2018 strömt eine Gruppe junger Aktivist:innen durch die Hallen des Kapitols in Washington. Ihr Ziel: das Büro von Nancy Pelosi, damals Anwärterin und heute
Als jüngste jemals in den Kongress gewählte Abgeordnete ist die damals 29-Jährige selbst erst seit wenigen Monaten in den mit Marmor verzierten Gängen unterwegs. Minuten später gehen die Videos um die Welt, wie die Aktivist:innen des
Es ist kein Zufall, dass gerade eine dunkelhäutige Frau mit spanischem Namen und Wurzeln in Puerto Rico, also außerhalb des amerikanischen Festlandes, zum Gesicht dieser Jugendbewegung geworden ist. Die Erklärung dafür liegt rund 90 Jahre zurück.
Nach dem Börsencrash 1929 liegt auf den USA und dem Rest der Welt der schwere Mantel der wirtschaftlichen Depression. Die Arbeitslosigkeit steigt innerhalb weniger Jahre
Dann sind Präsidentschaftswahlen: Die Maßnahmen des republikanischen Amtsinhabers Herbert Hoover haben sich bereits als wirkungslos erwiesen, die Wähler entscheiden sich für den demokratischen Neuanfang namens Franklin D. Roosevelt. Sein
Und das zeigt Wirkung: Die Menschen sind schnell mit dem Nötigsten versorgt. Millionen Arbeiter bauen ein landesweites Straßennetz auf, der Traum vom »American Roadtrip« von der Ost- an die Westküste ist erstmals möglich. Auch das letzte Dorf des Landes wird ans Stromnetz angeschlossen. Dabei entstehen Unmengen an Jobs – gleichzeitig legen die Arbeiter mit der neuen Infrastruktur den Grundstein für den folgenden wirtschaftlichen Aufschwung.
Doch der »New Deal« hat auch eine Schattenseite.
Roosevelt hat mit dem ›New Deal‹ nur Politik für weiße, männliche Amerikaner gemacht. Von Jobprogrammen und staatlichen Hauskrediten waren Schwarze explizit ausgeschlossen. Unterstützung für sein Programm konnte er unter Konservativen damals nur finden, weil er solche Eingeständnisse gemacht hat.
Deshalb ist es nun auch Kern des ›Green New Deal‹, diese Ungerechtigkeiten wiedergutzumachen. Das ›Sunrise Movement‹ will nicht nur gute Klimapolitik, sondern vor allem sozialen Frieden. Sie wollen sich diesem dunklen Kapitel der Geschichte und ihrer Verantwortung gegenüber der schwarzen und indigenen Bevölkerung stellen.
Wer könnte das besser verkörpern als AOC?
Wer AOC seit ihrem Amtsantritt medial verfolgt hat, weiß aber auch, dass die New Yorkerin viel mehr mitbringt als nur Häkchen an der »richtigen« Stelle in den Kategorien Geschlecht und Ethnizität:
Mit diesem Stil, so die Hoffnung des Sunrise Movement, soll AOC den »Green New Deal« nicht nur ins Kapitol tragen – sondern ins Weiße Haus. Denn im November stehen Präsidentschaftswahlen an. Mit Bernie Sanders ist nun zwar der Kandidat, der einem »Green New Deal« bereits seine Unterstützung zugesagt hatte, aus dem Rennen. Doch auch Joe Biden, der Donald Trump jetzt herausfordert, hat sich im Laufe der Vorwahl deutlich auf die Forderungen des Sunrise Movement zubewegt.
Joe Biden ist ein Kandidat mit dem Potenzial, ein Roosevelt-Nachfolger zu werden. Er könnte durchaus ein paar konservativere Wähler, die zwischen den Demokraten und Republikanern schwanken, für sich gewinnen. Ob er die mit dem ›Green New Deal‹ bekommt, da bin ich mir nicht so sicher. Aber wenn er ihnen verspricht, Jobs zu erhalten und neue zu schaffen, dann kann er sie gewinnen.
Der »New Deal« aus dem vergangenen Jahrhundert gilt parteiübergreifend eher als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Deshalb ist es ein kluger Schachzug, den »Green New Deal« auch begrifflich an sein historisches Vorbild anzulehnen. Das zeigen auch
Weil der amerikanische »Green New Deal« – anders als in Europa – bisher nur eine Wunschliste der Aktivisten des Sunrise Movement ist, lesen sich
1. Klimaneutralität durch eine faire Transformation für alle Gemeinden und Arbeiter:innen erreichen.
2. Millionen guter und gutbezahlter Jobs schaffen und den Wohlstand und die wirtschaftliche Sicherheit für alle Menschen in den USA sicherstellen.
3. In die Infrastruktur und Industrie der USA investieren, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nachhaltig zu erreichen.
4. Saubere Luft und sauberes Wasser, klimaresiliente Gemeinden, gesunde Nahrung, Zugang zur Natur und eine nachhaltige Umwelt für alle.
5. Gerechtigkeit und Gleichheit herstellen, indem die Unterdrückung von heute beendet und die von morgen verhindert wird. Die historische Unterdrückung
Eine Liste, die den amerikanischen »Green New Deal« gut zusammenfasst: Die Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft – die es nur in einer intakten Umwelt geben kann.
Der britische Beitrag zum »Green New Deal«: Das liebe Geld
Der dritte Ableger des »Green New Deal«, um den es jetzt gehen soll, tanzt ein wenig aus der Reihe. Denn auch wenn es in Großbritannien immer wieder Forderungen nach einem konkreten Plan mit diesem Namen gegeben hat, so geht es hier um etwas anderes: die Überzeugung, dass ein »Green New Deal«, egal ob in Europa, den USA oder sonst wo nur dann Erfolg haben kann, wenn wir zuvor etwas anderes grundlegend verändern, nämlich
Die Frau, die hier stellvertretend für diesen Wandel stehen soll, ist die Ökonomin Ann Pettifor. In einer Bergarbeiterstadt in Südafrika der Apartheid geboren und aufgewachsen, ist sie dem Kampf für Gerechtigkeit früh begegnet. Nach ihrem Studium war sie nach London ausgewandert, wo sie ihre aktivistische, politische und wissenschaftliche Arbeit weiterverfolgte.
Einer ihrer vielleicht größten Erfolge:
Pettifor beschäftigt sich seit Jahren mit dem »Green New Deal«,
Die Gesetz- und Grenzenlosigkeit des globalisierten Finanzsystems macht sie als einen der Hauptgründe dafür aus, warum es für die Politik kaum möglich sei, das nötige Geld für einen echten »Green New Deal« aus dem privaten Sektor zu beschaffen – selbst wenn der politische Wille da sei.
Private Investoren sind nicht bereit, die nötigen Risiken für einen ›Green New Deal‹ zu tragen. Das sehen wir auch in der Coronakrise wieder: Banken, Fluggesellschaften und so weiter wenden sich jetzt den Staaten zu und wollen Hilfe. Keines dieser Unternehmen ist bereit, die fundamentalen Prinzipien einer freien Marktwirtschaft zu akzeptieren, die da wären: Wer Risiken in Kauf nimmt, kann Gewinne machen – muss aber auch Verluste akzeptieren. Doch weil die Angst vor Verlusten so groß ist, glaube ich kaum, dass Unternehmen die Risiken eines ›Green New Deal‹ allein stemmen werden. Deshalb, meine ich, muss der Staat intervenieren.
Die Staaten müssten das nicht allein stemmen. Sie müssten jedoch die Bedingungen vorgeben und bei den großen Investitionen in Vorleistung gehen. In deren Rahmen könnten dann private Unternehmen tätig werden.
Was abstrakt klingt, macht Pettifor an einem einfachen Beispiel greifbar: Unweit ihres Hauses werde gerade eine neue Bahnlinie gebaut. Den Kauf der Grundstücke und den Gleisbau stemme der Staat. Die Züge kaufe und betreibe hingegen ein privates Unternehmen. Eine Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und privater Seite, wie sie bei technischen Innovationen in der Geschichte ständig stattgefunden hat. Man denke an Fotovoltaikzellen, die der deutsche Staat so weit entwickelt hat, bis die Technologie für Firmen interessant wurde.
Doch derzeit sehe es beim »Green Deal« der EU nicht danach aus, als folge Ursula von der Leyen diesem Rat:
Die EU versucht jetzt, private Investitionen zu organisieren. Das Problem daran ist, dass die Politik damit die Entscheidungsmacht aus der Hand gibt, wofür und zu welchen Konditionen das Geld eingesetzt wird. Das ist mein Hauptproblem mit dem ›Green Deal‹ der EU: Sie verlässt sich zu sehr auf den privaten Sektor.
Als Lösung schlägt sie europäische »Green Bonds« vor, also grüne EU-Anleihen. Nicht unähnlich den Coronabonds, die derzeit diskutiert werden. Konkret bedeutet das: Die EU leiht sich von privaten Investoren gegen Schuldscheine (Bonds) zu festen Konditionen Geld, mit dem sie die Projekte des »Green Deal« finanziert. »Wenn sich die europäischen Steuerzahler auf diese Weise hinter einem öffentlichen Bond vereinen, könnte das gigantische Finanzsummen mobilisieren«, glaubt Pettifor, die auch schon die britische Regierung in Wirtschaftsfragen beraten hat.
Auch wenn sie die Finanzarchitektur noch für verbesserungswürdig hält, bezeichnet Ann Pettifor den »Green Deal« der EU als »Inspiration«:
Ich halte es für eine große Sache, weil es ein Plan ist, der 28 Nationen umfasst, über 500 Millionen Menschen. Allein der Gedanke, einen solchen Plan zu fassen und ihn auch noch ›Green Deal‹ zu nennen, ist enorm; denn es öffnet den politischen Raum. Endlich kann eine Debatte darüber stattfinden, ob wir so etwas wollen und wie es aussehen soll. Es gibt der EU eine neue Richtung.
Erinnern wir uns an die Eingangsfrage: Warum nutzen wir unseren Wohlstand und unsere Kreativität nicht einfach, um eine produktive und nachhaltige Wirtschaft aufzubauen, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen und den Klimakollaps zu verhindern? Die Antworten, wie das gelingen soll, fallen also unterschiedlich aus. Die EU setzt in erster Linie auf Technologie, in den USA liegt die Hoffnung auf einer gerechteren Gesellschaft und die Briten setzen am Finanzsystem an.
Was sie jedoch verbindet, ist der Wille, den Klimakollaps zu verhindern und unsere Lebensgrundlage zu erhalten. Und mit dem »Green New Deal« hat dieser Wille nun auch einen Namen.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily